Zuerst gaben drei „neue“ Intendanten (Hildesheim, Annaberg-Bucholz und Pforzheim) einen Einblick.
Oliver Graf, seit 2020/21 Intendant und Geschäftsführer des Theater für Niedersachsen, setzt auf ein junges Publikum. „Musical ist jung und laut“. Er sieht das TfN Hildesheim als Grundversorger in der Provinz und strebt die Vielfalt an. Doch ist die Schere im Kopf: die Bühne ist neun Meter breit und jedes Stück muss für den Abstecher in den Container passen, die Orte müssen beworben werden und die Stücke verkauft werden, und da muss der Titel verstehbar sein. Jedoch kann man auch mutig sich mal einen Flopp riskieren.
Während man in Hildesheim strukturbedingt nicht Sparten übergreifend arbeiten kann, sagt Markus Hertel, ab 2022/23 Intendant am Stadttheater Pforzheim „Wir alle sind Musical“ und denkt durchaus spartenübergreifend. Er ist seit Jahrzehnten dem Musical verfallen, hat aber fest die Kasse im Blick, ebenso wie den Teil des Publikums, das aus dem Schwarzwald in Bussen anreist. Traditionsgemäss wird bzw wurden in Pforzheim grosse Orchestermusicals ebenso wie Studio-Musicals gemacht. Das möchte er festigen und Musical als eigene Sparte etablieren.
Frischen Wind bringt Moritz Gogg als neuer Intendant (2021/22) nach Annaberg-Buchholz und strebt sogar eine eigene Sparte Musical an. So wagt er am Eduard von Winterstein Theater ungewohnt Neues, aber auch Traditionelles, was nicht gestrig sein muss, und scheut sich nicht davor, als „Wachpunkt“ eine Benatzky-Operette als Ausgrabung herauszubringen („ Der Reichste Mann der Welt“); denn es ist ja ein Vorläufer des Musicals. Musical ist für ihn Sparten übergreifend und sollte mehr vom Wort ausgehen, breiter aufgestellt sein und die Trennung zwischen U- und E- Sektor aufheben. Ein Titel muss dem Publikum etwas erzählen. Aber auch bei ihm „beginnt und endet es mit dem Geld“
Die zweiten Runde mit den etablierten Theaterleitern und Produzenten wurde ebenso wie die erste von dem Theaterjounalist und Blogger Frank Wesner kompetent moderiert.
Große Aufmerksamkeit bekam Dr. Carl Philip von Maldeghem. der als Intendant des Salzburger Landestheaters zusammen mit Andreas Gergen eine Musicaltradition entwickelt hatte.
Als Angelpunkt beschrieb er „Sound of Music“. Da der Film in Salzburg gedreht worden war, kamen für die sieben Kinderrollen gleich 300 in das Theater. So konnte er die kulturelle Kommunity integrieren und für die Öffnung zum Musical begeisteren– jetzt kooperiert er mit dem Deutschen Theater München („Der Schuh des Manitu“) und liebäugelt mit einer eigenen „verdeckten“ Sparte Musical im Gegensatz zur „offenen Variante“ einer Musicalkompagnie wie beim TfN oder in Linz.
Simone Linoff , Artistic Producer von der Stage Entertainment, überraschte mit Risikobereitschaft und Neugierde auf neue, diverse, kreative Projekte, denn die Stage spielt an acht Theatern und hat „für jeden etwas“ – jedoch muss der Titel das Publikum ansprechen.
Ralf Kockemüller (CEO & Producer Mehr-BB Entertainment) sieht sich in Konkurrenz zum subventionierten Musical, wünscht sich eine größere Streitkultur bei der Entwicklung von Musicals, und findet, dass Musical als Kunstform mehr Wertschätzung verdient. Er ist verantwortlich für 600 Mitarbeitern, 5 Theater in Deutschland, 4 am Broadway und muss die mit Milliarden vorfinanzierten Aufführungsrechte und Produktionen profitabel wieder einspielen, wie ein „Bauunternehmer rechnen“. Er beobachtet, der Trend „ins Musical zu gehen, ist nicht cool“ wenn im Streaming oder Film das junge Publikum von den Screens und Bildschirmen zum Life-Erlebnis weggelockt werden muss.
Dagegen konterte der Gründungsintendant des TfN Jörg Gade: „Nein, Musical ist nicht uncool, es muss brennen“. Er zielte in seiner Amtszeit auf die 25 bis 40jährigen und setzte statt des Etiketts „Musical“ den Begriff „modernes musikalisches Unterhaltungstheater“.
Auch Dario Callo, der Rechtsanwalt von Kanzlei DramaLex, wehrte sich gegen den nebulös-schwammigen Begriff „Musical“ – man sollte es wie im Ursprung als Musical Theatre bezeichnen, weil das eher der Vielfalt der Musicalformen entspricht.
Interessant war die Frage nach dem Sinn von CDs. Jörg Gade, der sie jeweils zu seinen Ur- und Erstaufführungen am TfN produzierte, hält nicht viel davon „Es rechnete sich nicht, sie mussten eingestampft werden“. Dagegen gab Markus Hertel zu bedenken, dass eine CD ihm einen Eindruck von etwas Unbekanntem gibt, und damit den Weg für „die zweite Bühne“ öffnen kann.