Zur Eröffnung würdigte Heidrun Piwernetz, Regierungspräsidentin von Oberfranken, das Engagement der Luisenburg-Festspiele unter der Intendantin Birgit Simmler und die Impulse, die sie für die Kunstrichtung Musical setzt – dafür überreichte sie einen Scheck über 280.000 Euro zur Förderung neuer Stücke während der nächsten vier Jahre in Wunsiedel. In seinem Impulsvortrag forderte der Musikwissenschaftler Dr. Jonas Menze, “Musical als Gattung ernst zu nehmen und dem medialen Negativ-Image entgegenzuwirken”.
Zum Ausklang des ersten Tages gab es mit dem Showcase “9 Musicals in 90 Minuten” einen Blick auf Musical-Uraufführungen der letzten Jahre. Dafür waren Komponisten und Autoren wie Marc Schubring, Frank Nimsgern, Kevin Schroeder oder Thilo Wolf mit hochkarätigen Musicaldarstellern wie Bettina Meske, Roberta Valentini, Maricel oder Chris Murray aus ganz Deutschland angereist.
Dabei wetteiferte schwarzer Humor in ‘Zum Sterben schön’ mit der Musical-Adaption des Weltklassikers ‘Im Namen der Rose’. Goethes ‘Leiden des jungen Werther’ wurden in ‘Lotte’ mit der anderen Seite der Medaille gespiegelt. Das sinfonische Musical ‘Der Mann mit dem Lachen’ nach Victor Hugo stellte sich gegen den Hip-Hop des ‘Superhero’, wo der krebskranke 15-jährige Don in eine Comicwelt flüchtet. Frech kokettierte ‘Hermann, der Matrose’ mit dem Bürogehilfen Peter, während unter Wasser von Nordamerika ‘Der Tunnel’ nach Europa gebaut und der miese Charakter einer Börsenspekulantin entlarvt wurde. Verzweifelt um Anerkennung kämpfte Rosalind Franklin in dem Wissenschaftsmusical ‘Das Molekül’ über die Entschlüsselung der DNA und Maricel in Personalunion als Komponistin und Darstellerin berührte als ‘Jeanne d’Arc’ von Stimmen gejagt in der kriegerischen Welt der Männer. Die Werkausschnitte bewiesen den Facettenreichtum deutscher Musicals und dass viele Stücke durchaus das Zeug haben, länger zu leben!
Am zweiten Tag wurden “Wege zur Uraufführung” aufgezeigt – zunächst historisch durch die Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst (GUBK), deren Gründer Dr. Wolfgang Jansen schon 1994 bis 2002 in “Work in Progress”-Workshops im Rahmen von vier Musicalkongressen das Ziel verfolgte, einheimische Musicalautoren zu entdecken und ein Netzwerk für die Branche zu schaffen. Für manche war dieser Rückblick überraschend neu, für anderewie ein Déjà-vu.
Anschließend ging es um Schreib-Werkstätten für Autoren – aktuell ist die “Schreib:maschine” (mittlerweile unter dem Dach der DMA) eine etablierte “offene Bühne” mit Sitz in Berlin, hat inzwischen aber expandiert und findet mittlerweile auch in Hamburg und Wien statt, am 12. Oktober 2020 zudem zum ersten Mal in Köln. Autoren und Komponisten können hier Ausschnitte aus ihren in der Entwicklung befindlichen Musicals vorstellen.
Neu ist das Modell “Forschung & Entwicklung” der Luisenburg-Festspiele, in dessen Rahmen Stückentwicklung mit einzelnen Teams in festen Abschnitten vom Treatment über Readings und Workshops bis hin zur Uraufführung vorangetrieben werden soll. Zurzeit, berichtete Birgit Simmler, sind drei Projekte in Arbeit,
die erste Uraufführung ist für 2022 geplant.
Kompetent wurden dann “Erfahrungen aus der Praxis” von Autoren, Komponisten, Dramaturgen, Intendanten und Vertretern der Verlage ausgelotet.
Komponist Marc Schubring, Autor Kevin Schroeder und Newcomerin Maricel Wölk berichteten über Chancen und Fallstricke und fragten sich, was daran so schlecht sei, in deutscher Sprache zu schreiben. Der Blick über die Grenzen nach Frankreich und Spanien zeige, dass die Songs aus neuen Musicals dort “sogar im Radio gespielt werden”.
Aus der Stadttheaterpraxis zeichneten Andreas Frane, Chefdramaturg des Theaters Heilbronn, und Dr. Christof Wahlefeld, Betriebsdirektor des Theaters Bielefeld, ein realistisches “Negativbild”. Aus dem Zusammenhang herausgegriffen und willkürlich aneinandergereiht ist das folgende Kaleidoskop verschiedener
Statements, die zur Auseinandersetzung herausforderten: “Musical als Einstiegsdroge passt nicht in das deutsche Stadttheater, es ist teurer als Oper, braucht mehr Gäste, d.h. Spezialisten, mehr Bühnentechnik, Ausstattung, Ton, Mikros und Beschallung und kann trotzdem im Vergleich mit den kommerziellen Produktionen nur verlieren.” “Wäre ‘spartenübergreifend’ nicht ein möglicher Weg?”, wurde daraufhin aus dem Plenum gefragt. “Oder schreiben für die Bedingungen des Hauses?” “Musical ist der ‘depravierte Cousin’ und nur der Klassiker macht Kasse.” “Der Hemmschuh ist an den Füßen der Intendanten! Sie kennen sich zu wenig aus!” “Traumtänzer des Musicals und kommerziell angedockte Künstler vergessen oft die Realität der Stadttheater.”
Für die Theaterleiter erinnerte der Intendant der Brüder-Grimm-Festspiele, Frank-Lorenz Engel, daran, dass er in Hanau jedes Jahr einen Musical-Auftrag vergibt und für die Uraufführung extra castet. Und Ingmar Otto vom Kammertheater Karlsruhe bietet Gastspielen eine Chance und kooperiert mit anderen Bühnen. Jörg Gade, Gründungsintendant des Theaters für Niedersachsen mit dem einzigen Musicalensemble Deutschlands und Initiator vieler Ur- und Erstaufführungen, forderte: “Neue Musicals müssen auch mal scheitern dürfen.”
Per Videobotschaft wurden zwei Generalintendanten zugeschaltet: Bodo Busse (Saarbrücken) appellierte, mehr Mut zu zeigen und Initiative zu ergreifen, und Karen Stone (Magdeburg) erinnerte an die Produktionsrealität und Möglichkeiten des Hauses sowie die Erwartungshaltung des Publikums, das einen bekannten Titel braucht.
Bei den Verlagen sieht sich Moritz Staemmler (Felix Bloch Erben) als Vermittler zwischen Autor und Theater und Stephan Kopf (Musik und Bühne) als Verwalter im “Stücke-Kontor” ausländischer Lizenzen sowie als Entwickler neuer Stücke im Musical-Labor. John Havu (Concord Theatricals) hat ein besonderes Augenmerk auf deutsche Musicals und er fragt sich auch, warum nicht Stücke speziell für einzelne Theater geschrieben werden.
Positiv umriss für die DMA ihr erster Vorsitzender Reinhard Simon den Status quo mit einem Ausblick auf den Deutschen Musical Theater Preis 2021 und Musical als vierte Sparte am Stadttheater – und im Vergleich mit den Produktionsbedingungen in den USA zeigte der 2. Vorsitzende der DMA, Marco Jung, auf, dass sich dort Leadproducer und Investor zu jeweils 50% die Kosten teilen, man bei High-Risk auch High-Reward erwartet und so bei Profit oder Non-Profit entweder nur gewinnt – oder pleite ist! Man erahnte, wo in unserem Theatersystem mit über 300 Theatern zu wenig genutzte Ressourcen liegen, aber auch Chancen versteckt sind.
Eine Stückebörse bildete dann den Abschluss des zweiten Tages.
Das Schlüsselwort, das immer wieder auf den Tisch kam, war “Kommunikation” – und genau hier setzte der Vormittag des dritten Tages an, als in kleinen Gruppen ein offenes Brainstorming zum Thema “Gemeinsam ein Musical produzieren und zeigen” stattfand. Ziel sollte sein, durch die Koppelung von Produktions-Know-how, Werkstätten und Ensembles von verschiedenen Theatern finanziell und künstlerisch effizientere Wege zur Schaffung neuer Musicals zu finden. Ganz im Sinne von “Die Zukunft fängt heute an” setzte Birgit Simmler mit ihrem “Intendanten-Sandkasten” ein Zeichen und forderte auf, in drei Gruppen Kooperationen zwischen Staats-, Stadt- und Landestheatern, Open-Air-Bühnen sowie kommerziellen Anbietern von Tournee- und Long-Run-Produktionen durchzuspielen.
Das Spiel der Profis nahm konkrete Formen an und zwei Kooperationsmodelle sollen in den nächsten Jahren verfolgt werden: Intendant André Nicke von den Uckermärkischen Bühnen in Schwedt plant zusammen mit Bernd von Arnim von Schmidts Tivoli in Hamburg und Andreas Frane vom Theater Heilbronn eine Kooperation über drei Jahre: Uraufführung soll jeweils in Schwedt mit Halbplayback bzw. Band sein, gefolgt von einer zweiten Staffel in Hamburg mit eigenem Cast und zum Abschluss ein Gastspiel in Heilbronn mit einer für ein 23-köpfiges Orchester erweiterten “Erstaufführung”.
Birgit Simmler plant in Wunsiedel über vier Jahre die Stückentwicklung eines neuen deutschen Musicals in Kooperation mit Intendant Werner Müller vom Stadttheater Fürth, Tryouts in Wunsiedel und bei Jörg Gade am Theater Itzehoe sowie nach Spielzeiten in Wunsiedel und Fürth die Übernahme als Tournee-Produktion durch BB Promotion, die von Anfang an die Entwicklung der Produktion mit einem Werbekonzept und Produktions-Know-how begleitet.
Im Verlaufe des Symposiums stellten sich viele Fragen und offene Fragen sind zuhauf geblieben, doch alle waren sich einig, der Ruf der höchstpersönlich nach Wunsiedel gereisten Komponisten und Autoren nach der zweiten Chance, der Bühne nach der Uraufführung, sollte nicht verhallen und es war gut, mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.
Der Termin für das nächste, 3. Musical-Symposium ist für den 6. bis 8. August 2021 festgelegt – obwohl es bei dem einen in den Ferien und bei dem anderen in der Festspielsaison des Sommertheaters liegt.