Günter Pick schreibt auf tanznetz.de über seinen Besuch auf der Freilichtbühne Luisenburg in Wunsiedel und das Phänomen nicht-alternder Tänzer. Federico García Lorcas „Bluthochzeit“ in der Inszenierung von Eva-Maria Lerchenberg-Thöny war Günter Picks nächstes Ziel.
Nachdem ich mich von den Stuttgarter Vorstellungen, die in einsamer Perfektion über die Bühne gingen, so wie man es von einem Weltklasseensemble erwartet, erholt hatte, stand die „Bluthochzeit“ auf meiner Agenda. Dieses Schauspiel von Federico García Lorca hat schon öfter Pate gestanden für Adaptionen für das Tanztheater und die berühmteste Version ist wohl der Tanzfilm von Carlos Saura aus dem Jahr 1981 (von und mit Antonio Gades), dessen „Carmen“ (1983) zu seiner Zeit so ziemlich das Nonplusultra war, was sowohl den Choreografen als auch den Regisseur ermutigte, auf dieser Schiene weiter zu machen. So unterschiedlich die Filme sind, was schon mit dem Sujet zu tun hat, so gut sind sie bis heute. Ich glaube nicht, dass diese zeitgenössische Folkloristik heute etwas von ihrer Faszination eingebüßt hat. Und der spanische Tanz ist immer wieder wellenweise über uns hereingebrochen und es würde eigentlich mal wieder Zeit für Flamenco.
Das Experiment des Intendanten Michael Lerchenberg auf der Freilichtbühne Luisenburg, die zu Wunsiedel gehört, ist nicht zu unterschätzen, denn auf den fast 2000 Plätze am Rande Bayerns, fast schon in Tschechien, wo viele Touristen im Fichtelgebirge ihren Urlaub verbringen, ist Balletttanz sicher fast so etwas wie ein Fremdwort. Trotzdem hat die Frau des Intendanten Eva-Maria Lerchenberg-Thöny, die bekannt ist dafür, dass sie nicht einfach ein Publikum bedient, sich zu dieser Arbeit entschlossen, in der sie nicht nur die Story vertanzt, sondern den Text zugrunde legt. Sie hat sich dafür einer Reihe guter Darsteller versichert, die sowohl eine tänzerische Grundlage haben, als auch gute Schauspieler sein sollten, was man nicht so leicht findet. Denn meistens sind solche Darsteller, die vielseitig begabt sind, beim Musical gelandet.
Ich gebe zu, ich war skeptisch, ob das Projekt „Bluthochzeit“ ein großes Publikum finden würde. Ich glaube, es waren acht Vorstellungen angesetzt und ich kann vorwegnehmen, alle waren gut verkauft. Viele Menschen haben diesen Abend gesehen, applaudierten am Ende nach den pausenlosen anderthalb Stunden begeistert, suchten sich nachdenklich ihr Auto oder wurden von dem Shuttlebus wieder in den Ort zurück gebrachte.
Ich hatte übrigens öfter auch ohne Tanztheater vorgehabt, dorthin zu fahren, aber ich hatte immer ängstlich gedacht: und was, wenn es regnet? Dann ist es natürlich nicht wie in Verona, wo man nass wird, wenn man Pech hat, oder in Bregenz. Das passiert in Wunsiedel nicht, aber man sollte eine Decke mitbringen, es kann kühl werden. Das Publikum sitzt unter einem Dach, das etwas vom Olympiastadion in München hat, nur dass es nicht gläsern ist, sondern aus einem hellen Kunststoff besteht, der ist akustisch gut und sieht auch schön aus. Gelungen ist Eva ein ‚Tanzspieltheater’, das es so selten gibt, ansatzweise in der Barockoper, in der man durch den Tanz das ergänzen wollte, was der Gesang nur ungenügend konnte. In „L´Orfeo“ von Monteverdi ist das zum Beispiel gut gelungen.
Wir haben es bei „Bluthochzeit“ mit, wie der Titel schon sagt, einer Geschichte zu tun, die sogar mit Text vertrackt ist, denn verschiedene Personen sind durch ihre Herkunft und den streng katholischen Hintergrund, wo man die Frauen und besser noch die jungen Mädchen vor den ach so bösen Männern, die nichts anderes im Kopf haben, als über sie herzufallen, ganz in Schwarz und möglichst auch verschleiert zum Gebet gehen lässt. Und doch bekommen sie Kinder und niemand weiß wieso… Und möglichst lässt man es auch dabei, solange niemand die Wahrheit und sei es auch nur den Verdacht ausplaudert. Es werden Menschen verheiratet, die gar nicht miteinander leben wollen, Hauptsache die Eltern haben aus den verschiedensten Beweggründen alles gut lanciert, und zwar so wie sie dachten, dass es das Beste für alle und die Religion sei (in diesem Fall spielt Politik keine Rolle, wie sonst gern bei Lorca). Zu diesen komplizierten Vorgängen ist nur die Sprache fähig, der Tanz kann dafür bei Emotionen, egal welcher Art am besten rühren. Das ist in dieser Inszenierung perfekt gelungen, und während ich da saß und Gänsehaut bekam, tat mir leid, dass man so etwas wohl nicht in München sehen wird. Vielleicht wäre das Volkstheater mit seinem Intendanten Christian Stückl, der nicht jede Welle aufgreift, sodass man sein Theater vom großen Trend unterscheiden kann, die richtige Adresse. (Er kann deswegen ja auch nicht zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen werden…)
Die Sprech-Tänzer sind durch die Bank bestens ausgewählt und obwohl sie auf einer Freilichtbühne spielen, hervorragend zu verstehen, was auch, aber nicht nur, einer guten Tontechnik (Tobias Busch/Otto Geimeyer) zu verdanken ist. Ich habe mich öfter gefragt, wessen Musik sie eingespielt haben und glaube es war zu großen Teilen Krzysztof Penderecki, auch Astor Piazzolla, wenn nur getanzt werden sollte, aber mit Charakter, und Tomas Luis de Victoria, wenn religiöse Vorgänge wie in der Renaissance stimmen sollten. Auf dieser Naturfelsen-Waldbühne lässt man am besten alles, wie die Natur es vorgesehen hat, und für gutes Licht und Schatten sorgte Rolf Essers mit dem Ausstatter Sascha Gross, dessen Kostüme so sind wie man sie erwartet. Den Tod in Gestalt einer Bettlerin für Jiri Kobylka hat er höchst fantasievoll, fast sexy, ausgestattet, sodass dieser Auftritt des tschechischen Solotänzers jenseits von Gut und Böse und jeglichen Alters einen kleinen Höhepunkt darstellt.
Das tragische Liebespaar mit Maria Kempken, die eine einnehmende jugendliche Ausstrahlung hat und ein Bewegungsidiom mitbringt, das schwer erklärbar ist, lässt auch sprachlich keinen Wunsch offen. Ihr verheirateter Liebhaber Marc Schöttner hat ebenfalls alle diese Vorzüge und man leidet mit ihm, wie man sich so zwischen sämtliche Stühle setzen kann. Die Mutter der Braut ist die herrliche Charakterschauspielerin Katy Karrenbauer, kantig und die gesamte Bühne beherrschend, schon ihretwegen war die Reise nach Wunsiedel es wert. Aber auch die große Überraschung, Martin Sommerlatte, ehemaliger Solist im heute Bayerischen Staatsballett. Er verfügt über eine Bombenstimme, sieht in den Fünfzigern wirklich gut aus, wie früher, mit großer Bühnenpräsenz, hat aber leider nur kleine Nebenrollen zu spielen. Sieht er zu jung aus für eine Vaterrolle? Eine Krux der meisten Tänzer, dass sie ewig jung aussehen (auf der Bühne).
Ein herrlicher Theaterabend mit allem, was man sich wünschen kann, auch das Wetter hat eine viel schönere Hauptrolle gespielt, als Lorca sich das vorstellen konnte bei seinem düsteren Stück.
Veröffentlicht am 08.09.2016, von Günter Pick auf Tanznetz.de
Foto: Flo Miedl